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Hila Azadzoy: „Ich wollte schon immer einen positiven Impact haben“

Aktualisiert: 3. März 2023

Hila Azadzoy ist Teil des Gründungsteams von Kiron Open Higher Education, einem Online-Studienprogramm für Geflüchtete mit dem Ziel, bestehende Barrieren auf dem Weg zur Hochschulbildung für Flüchtlinge mittels digitaler Lern- und Unterstützungsangebote abzubauen. Dort leitet sie die Hochschulkooperationen. Sie ist in Hamburg aufgewachsen und hat ihren Abschluss (M.Sc.) an der Universität Hamburg in Economics, Politics and Philosophie absolviert. Ihre Eltern kamen in den 1970er Jahren aus Afghanistan nach Deutschland.


Im Gespräch mit SWANS erzählt Hila, wie sich für sich entdeckt hat, für welche Werte sie einstehen will und welche Tipps sie für Studentinnen heute hat. Das Gespräch führte Maycaa Hannon.


Hila Azadzoy
Hila Azadzoy

SWANS: Wie würdest du dich selbst beschreiben?

Azadzoy: Eines war mir schon immer klar: Ich wollte immer einen positiven Impact haben. Wie genau, war mir in meiner Jugend noch nicht klar. Aber ich wusste, dass ich mich für diejenigen einsetzen wollte, die nicht die Möglichkeit dazu haben, es für sich selbst zu tun. Der Bereich Menschenrechte und humanitäre Hilfe hatte mich daher schon immer angesprochen. Die frühe Auseinandersetzung mit dem Thema hängt sicherlich auch mit meiner eigenen Familiengeschichte zusammen: Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber meine Eltern kommen aus Afghanistan.


Da ich die afghanische Sprache spreche und mir mein Vater viel von Afghanistan erzählt hat, lag es nahe, dass ich ein großes Interesse für die Region entwickelte und schon von klein auf die politischen Ereignisse und die Entwicklung des Landes verfolgte. Ein Ereignis, was mich sicherlich nachhaltig geprägt hat, ist mir besonders in Erinnerung geblieben – Mädchen durften zur Zeit des Taliban-Regimes nicht zur Schule gehen. Diese Nachricht war damals für mich (ich war ca. zehn Jahre alt) ein Schock und hat mir vor Augen geführt, dass es ein großes Glück ist, in Deutschland aufzuwachsen und Zugang zum Bildungssystem zu haben.

Aus dieser Erkenntnis heraus und dem Bewusstsein, dass es mich und meine Geschwister auch hätte anders treffen können, entstand mein Antrieb etwas im Bereich humanitäre Hilfe, Menschenrechte und der Verbesserung von Bildungschancen zu tun.

Im Sommer 2015 bin ich nach Berlin gezogen und habe mich mit meinem ehemaligen Kommilitonen Vincent Zimmer kurzgeschlossen. Er war gerade im Prozess, Kiron aufzubauen und ich war sofort fasziniert von seiner brillanten Idee. Ich war sehr beeindruckt und wusste sofort, dass ich hier voll und ganz dabei sein möchte, um diese Idee zur Realität werden zu lassen.

SWANS: Wie waren deine Kindheitserfahrungen? Wer hat dich besonders unterstützt und geprägt?

Azadzoy: Zu meinen größten Unterstützern gehörten meine Eltern und ich verdanke ihnen alles. Mein Vater ist ein wahrer Philanthrop, der mir von klein auf grenzenlose Hilfsbereitschaft vorgelebt hat. Er hat mich gelehrt, wie wichtig es ist, sich für andere einzusetzen, die weniger privilegiert sind. Meine Mutter ist eine starke Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt und mir beigebracht hat, keine Angst davor zu haben, meine Meinung zu sagen und mutig zu sein. Beide haben einen sehr großen Wert auf Bildung gelegt und hatten immer das Ziel, dass ich und meine Geschwister studieren und etwas in der Gesellschaft bewirken.


Aus meiner Schulzeit ist mir besonders mein Lateinlehrer in Erinnerung geblieben. Er hatte so ein wahnsinniges Urvertrauen in mich und meine Fähigkeiten, was mich unwahrscheinlich motiviert - oder wie man heute sagt „empowered“ - hat.

SWANS: Wie empfandest du die Phase um deinen Berufseinstieg?

Azadzoy: Im Anschluss an das Studium hatte ich mich bei einigen Organisationen beworben und erinnere mich, dass ich es ganz schön schwierig fand, mich im Bewerbungsdschungel zurechtzufinden. Ich habe dann ein Angebot von Human Rights Watch erhalten und bin daraufhin nach Berlin gezogen. Doch als ich Vincent wiedergetroffen habe, hat mir meine Intuition sofort gesagt, dass Kiron aufbauen das Richtige ist. Das war rückblickend betrachtet weitaus riskanter, wir hatten keine Finanzierung, keine stabilen Strukturen, doch ich sah eher all die Chancen. Daher habe ich mich gegen die Position bei Human Rights Watch entschieden und bin in die Gründungsphase bei Kiron eingestiegen.

SWANS: Wie war die Entstehungsphase und das Wachstum von Kiron für dich?

Azadzoy: Die erste Idee hatte Vincent schon im Dezember 2014, zwar noch nicht auf Geflüchtete gemünzt, aber mit dem gleichen Ziel: Den Zugang zur Bildung durch digitale Lösungen für benachteiligte Gruppen erhöhen. Die Idee hat schon damals einige begeistert, da mitzuwirken und sie voran zu treiben. Aber im Sommer 2015 hat die Idee dann durch den Flüchtlingszuzug einen Nerv getroffen: Es wurde deutlich, dass Geflüchtete massiv benachteiligt wurden und der Zugang zu Bildung kein Selbstläufer ist. Das war nicht nur in Deutschland der Fall, sondern fast überall auf der Welt.


Unsere Idee traf zu der Zeit auf den richtigen Kontext – das mediale Interesse war groß. Auch seitens der Politik war man für pragmatische, skalierbare Lösungsansätze wie unsere offen. Unser schnelles Wachstum wurde durch die hohe gesellschaftliche Sichtbarkeit des Themas ermöglicht. Für mich persönlich war das eine Achterbahnfahrt. Innerhalb von einem Jahr haben wir uns zu einer Organisation mit fast über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 3000 Studentinnen und Studenten entwickelt. Man kann sich vorstellen, dass es mehr Chaos als Strukturen gab – wir sind alle sehr oft an unser Limit gegangen. Jedoch war das eine der besten Erfahrungen, die ich je gemacht habe.

SWANS: Was empfiehlst du jungen Studentinnen, die kurz vor ihrem Abschluss stehen?

Azadzoy: Ich rate dazu, dass man sich schon im Studium mit anderen kurzschließt. Man lernt dort so spannende Menschen kennen. Man sollte also schon in dieser Phase gemeinsam mit Kommilitoninnen und Kommilitonen an Ideen arbeiten und sich somit ganz neue Wege eröffnen. Ich habe Vincent auch im Studium kennengelernt und wir blieben in Kontakt – daraus ist nicht nur eine so großartige, vertrauensvolle Zusammenarbeit entstanden, sondern auch noch eine Freundschaft fürs Leben, für die ich sehr dankbar bin.


Ein weiter Tipp ist, offen zu sein und einen positiven Mindset zu entwickeln. Damit meine ich, dass man wirklich daran glaubt, dass alles möglich ist. Wenn man diesen Grundsatz verinnerlicht hat, geht man anders durch die Welt und wird von seinem Umfeld auch dementsprechend wahrgenommen.


Viele Möglichkeiten entfalten sich dann fast schon von ganz alleine. Ich kann ein gutes Beispiel nennen: Ich war letzte Woche auf einer Konferenz, in der ich auf einen 21-jährigen Studenten getroffen bin. Er befand sich dort mitten in einer Gruppe von Leuten, die in Großkonzernen und Organisationen beschäftigt sind. Kurzum: Die Teilnehmer waren alle schon im Beruf und ich hatte nicht erwartet, auch auf einen Studenten zu treffen. Die Konferenz war zum Thema Künstliche Intelligenz und ich fragte ihn, wie es kommt, dass er hier sei. Er erklärte mir, dass ihn das Thema wahnsinnig interessiere und er daher extra angereist sei.


Das ist genau die Initiative, die man braucht im Leben – er macht alles richtig. Bringt sich früh ein, knüpft Kontakte, so dass sich daraus die Möglichkeiten schon fast von alleine ergeben. Ich kenne wenige, die mit 21 Jahren schon so weit sind – ich selbst hatte damals diese Erkenntnisse auch noch nicht.

SWANS: Ein Traum wäre es natürlich, wenn der positive Mindset und die Erfahrung auch zum Wunschjob führen. Wie stehst du zur Frauenquote?

Azadzoy: Ich denke, die Frauenquote hat ein Zeichen gesetzt, denn sie hat sichtbar gemacht, wie es in den momentanen Führungsebenen wirklich aussieht. Die externe Regulierung erhöht den Druck von außen, bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten auf die Balance zwischen den Geschlechtern zu achten. Für mich persönlich ist Cognitive Diversity am wichtigsten, denn unterschiedliche Denkweisen können schon zu viel inklusiveren Produkten und Dienstleistungen führen. Die Frauenquote trägt dazu bei, diesem Ziel näher zu kommen und ist daher wichtig. Auf Dauer hoffe ich aber, dass es irgendwann die Norm ist mehr Frauen in Aufsichtsräten zu haben, sodass eine Quote gar nicht mehr notwendig ist.

SWANS: Danke für das Gespräch!


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