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Nora Matar: "Ich war bereits mit 25 Jahren fertig approbierte Ärztin“

Aktualisiert: 19. Jan. 2022

Dr. med. Nora Matar ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. Studiert und promoviert hat sie an der Universität zu Köln – ihr Spezialgebiet ist die Kinderendokrinologie. Derzeit ist sie am Zentrum für seltene Erkrankungen der Universitätsklinik Bochum tätig und hat unter anderem für die humanitäre Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ in Indien gearbeitet.


SWANS: Eine Vorstellung deiner Person. Wo bist du aufgewachsen, was hast du studiert und was machst du beruflich?


Ich bin im Rheinland geboren und aufgewachsen, meine Eltern stammen gebürtig aus Ägypten. Mein Vater ist für sein Ingenieursstudium nach Deutschland gekommen und war der Erste aus seiner Familie, der ein Studium aufnehmen konnte. Meine Eltern haben immer großen Wert auf Bildung und die Partizipation in der hiesigen Gesellschaft gelegt. Mein Bruder und ich waren während unserer Schullaufbahn stets die einzigen arabischstämmigen Kinder. Dadurch war ich es gewohnt, aufzufallen, aber auch sensibilisiert dafür, Unterschiede zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten wahrzunehmen.

Zweisprachigkeit und in zwei Kulturen aufzuwachsen ist für mich beides: sowohl eine Herausforderung, als auch eine Bereicherung. Diese Lebenserfahrungen haben einen großen Einfluss auf meine Lebensentwicklung ausgeübt und meine soziale und humanitäre Ader geweckt. Sie waren maßgeblich dafür, dass ich mich der Medizin widmen wollte.


Während meines Medizinstudiums habe ich mich deshalb bewusst dazu entschieden, sechs Monate in verschiedenen ägyptischen Krankenhäusern Praktika zu absolvieren. Es war mir besonders wichtig, meine Wurzeln, über meine Ferienerlebnisse und Familienzeit hinaus, besser kennenzulernen und den Alltag wie auch die medizinische Versorgung vor Ort zu erleben.Gerade diese Zeit hat mein Interesse an globaler Gesundheit und humanitärer Hilfe geweckt und war eine treibende Kraft dafür, dass ich später als Kinderärztin für Ärzte ohne Grenzen fast ein Jahr in Indien gearbeitet habe. Diese Zeit war eine sehr prägende Lebenserfahrung für mich und hat mich darin bestärkt, mich auch auf internationaler Ebene für Kinder zu engagieren. Auch in Deutschland lebe ich diese Werte, denn: Neben meinem Beruf als Kinderärztin bin ich im Vorstand der Vielfalt Gruppe, einem Institut für Bildung und Erziehung, aktiv. Ziel meiner Arbeit dort, ist es, frühkindliche Entwicklungsprozesse im Kontext von gesellschaftlicher Vielfalt zu fördern.


SWANS: Wer hat immer an dich geglaubt?


Ich habe das Glück, von vielen Menschen auf meinem Weg unterstützt worden zu sein und immer noch unterstützt zu werden. Dazu zählen besonders meine Familie und meine Freund*innen sowie Mentor*innen an meiner Seite. Es ist ein großes Geschenk, Menschen um dich zu haben, die dich ,,pushen’’, dir helfen, dein Potenzial zu entfalten und dich auch dann unterstützen, wenn du Neues und Größeres wagen musst, um eigene Visionen umzusetzen.


SWANS: Welche konkreten Rassismus/Sexismus-Erfahrungen hast du in deiner bisherigen Laufbahn gemacht ?


Ich war bereits mit 25 Jahren fertig approbierte Ärztin. Es bringt besondere Herausforderungen mit sich, als jung, weiblich und arabischstämmig markiert zu sein und Menschen als Ärztin gegenüber zu treten. Diese haben oft eine andere Vorstellung davon, wie ein*e Ärzt*in auszusehen hat. Da stößt man in verschiedenen Situationen auch mal auf Ablehnung oder muss sich mehr beweisen als andere.


SWANS: Wie stehst du zur Quotendiskussion?


In Deutschland schließen mehr Frauen als Männer erfolgreich ein Medizinstudium ab. Der Klinikalltag wird von vielen Assistenzärztinnen geprägt, dennoch sind die Führungspositionen weiterhin vor allem in männlicher Hand. Die Diskussion um die Frauenquote spiegelt die gesellschaftliche Realität wider, dass es zahlreiche qualifizierte Frauen gibt – allerdings wird ihr Weg ,,nach oben’’ durch strukturelle Rahmenbedingungen, nämlich dem hierarchischen Umfeld, erschwert. Die Frauenquote erscheint mir in diesem Zusammenhang eher wie eine kurzfristige Lösung, die die darunterliegende Ursache des Problems nicht löst. Langfristig ist es entscheidend, den gegenseitigen Dialog zu stärken, um die strukturellen Rahmen- und Arbeitsbedingungen an die Lebensrealität von Frauen anzupassen.


SWANS: Welchen Tipp hast du für jungen Studentinnen bzw. Absolventinnen mit Blick auf den Umgang mit der eigenen Zuwanderungsgeschichte? Welchen Tipp zum Berufsstart und zum Berufseinstieg?


Tretet unbedingt in Netzwerke ein und baut diese auf. Damit meine ich nicht nur Frauennetzwerke oder Netzwerke innerhalb eures eigenen Arbeitsbereiches, sondern auch bewusst ,,fremde’’. Oftmals sind es diese, die einem vielseitige Möglichkeiten eröffnen und den eigenen Horizont erweitern. Schafft euch ein Umfeld, in dem ihr euch gegenseitig unterstützt und fördert, aber auch Niederlagen und schwere Zeiten ehrlich und offen besprechen könnt. Erfolge teilen ist einfach, aber es ist wichtig zu wissen, dass man nicht perfekt sein muss, um Großes zu erreichen und dass auch Misserfolge und Niederlagen wichtige Lehrzeiten sind. Jede*r braucht mal eine*n Mentor*in und eine helfende Hand. Wenn wir wissen, dass wir von Anfang an füreinander da sind, dann sind wir stärker - getreu dem Motto: „If you want to go fast, go alone. If you want to go far, go together.“

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