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Dr. Elif Cindik: "Ich bin bei vielen Besprechungen die einzige Frau in der Runde."



Frau Dr. Cindik-Herbrüggen wurde in Istanbul geboren und ist in Deutschland aufgewachsen. Sie ist Deutsche mit Migrationsgeschichte. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. An der Harvard University hat sie die Forschung zu ihrer Doktorarbeit durchgeführt und den Master of Public Health Studiengang abgeschlossen. Derzeit ist sie Sprecherin der Alumni der Harvard School of Public Health. Ca. 3 Jahre hat Elif Cindik-Herbrüggen in den USA gelebt und eine funktionierende diverse Gesellschaft in New York und Boston erleben dürfen. Von 2010 bis heute hat sie in München 2 Gesundheitszentren (Neuro-Psychiatrisches Zentrum Riem und Zentrum für psychische Gesundheit Messestadt) aufgebaut, deren Leitung sie als Chefärztin innehat.  Mit ihrem kompetenten Team von Fachärzten bietet sie Gesundheitsleistungen in Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an. Sie hat mehrere internationale Publikationen, Vorträge und Workshops zur psychischen Gesundheit, mit besonderem Fokus auch auf die Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund. Sie hat bereits eine Reihe von Lehraufträgen ausgeübt und ist eine gefragte internationale Speakerin (englisch, deutsch, türkisch) zu diversen medizinischen Thermen. Sie ist Weiterbilderin von Assistenzärzten und Ausbilderin von medizinischem Fachpersonal.


SWANS: „Wie würdest du deine Kindheit beschreiben?”


Elif: „Mein Vater kam 1963 nach Deutschland. Er wollte ursprünglich lediglich ein Jahr bleiben, um in diesem Zeitraum möglichst viel Geld zu verdienen, welches er zum Hausbau in Istanbul ansparen wollte. Meine Mutter blieb zunächst mit ihren zwei Töchtern (meine älteren Schwestern Zeynep und Arzu) zurück in der Türkei bei ihrem eigenen Vater. Es musste ja ein Mann im Hause sein. Bei einem Deutschlandbesuch meiner Mutter 1969 wurde ich wohl zufällig gezeugt (Gütesiegel „Made in Germany“) und erblickte im Februar 1970 in Istanbul das Licht der Welt.Als sich die Pläne meines Vaters, in die Türkei zurückzukehren, Jahr für Jahr verzögerten, zog meine Mutter mit uns die Mädels schließlich 1971 ebenfalls nach Neu-Isenburg bei Frankfurt.

Ein einschneidendes Erlebnis meiner Kindheit, prägend für die gesamte Familie, war der tragische Unfalltod meiner Schwester Arzu, nicht allzu lange nach unserer Ankunft. Meine Mutter, die ganze Familie, stürzte der Tod meiner Schwester in tiefe Depressionen, die aber aufgrund von Sprachschwierigkeiten und damals noch sowieso ungenügender psychologischer Behandlungsmöglichkeiten nicht therapiert werden konnte. In Deutschland der 1970er Jahre gab es kaum psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungen, von muttersprachlicher Behandlung konnte gar nicht die Rede sein.

Mein Vater stürzte sich in seine Arbeit, meine ältere Schwester Zeynep war gezwungen, sich quasi als Ersatzmutter um mich zu kümmern. Ich musste also sehr schnell selbständig werden. Ich durfte keine Probleme bereiten. An Unterstützung durch meine Eltern während der Grundschul- und Gymnasialzeit kann ich mich kaum erinnern, da sie größtenteils mit ihrem Schmerz beschäftigt waren. Ich merkte sehr früh, dass ich meiner Familie am besten helfen konnte, indem ich einfach ohne viel Nachfragen funktioniere, insbesondere mittels meiner schulischen Leistungen. Die Schule ist mir immer leicht gefallen und ich wollte den Wunsch meiner Eltern erfüllen und für sie Medizinerin werden. Eigentlich hatte ich auch viel über den Beruf der Journalistin nachgedacht - insbesondere der Auslandskorrespondentin, da ich von fremden Ländern, deren Kulturen und auch Politik immer besonders fasziniert war. Schon während meines Studiums - und bis heute noch - reise ich um die halbe Welt und liebe es, diese Eindrücke aufzunehmen.”


SWANS: „Hast du dich in deinem Leben eher gefördert oder unterschätzt gefühlt?”


Elif: „Während meiner Gymnasialzeit war ich in meinem Jahrgang das einzige Mädchen mit türkischen Wurzeln. Ich habe mich immer ein wenig ausgegrenzt gefühlt. Eher geduldet als willkommen. Gefördert wurde ich nicht. Als Kind von „Gastarbeiter:innen“ war ich ja eigentlich eine Besonderheit. Aber niemand hat mich so gesehen oder mir das Gefühl gegeben, interessant und als Arbeiterkind auch sehr gut und erfolgreich zu sein. Meine Herkunft spielte keine Rolle. Eventuell lag es auch daran, dass die deutsche Gesellschaft uns „Gastarbeiter:innenkinder“ in den 1970er Jahren noch nicht als spätere Säulen der deutschen Gesellschaft wahrgenommen hat, sondern eher davon ausging, dass wir früher oder später eh wieder in „unser Heimatland“ zurückkehren würden. Die Tatsache, dass ausgerechnet ein Mädchen mit türkischen Wurzeln hervorragende Leistungen abliefert, wurde nicht gesehen. Ich finde jetzige Abiturfeiern und Würdigungen von jungen Menschen mit Migrationshintergrund sehr wichtig. Man hätte mir zeigen müssen, dass meine Leistungen besonders sind - und förderwürdig. Alle Kinder mit sehr gutem Abitur wurden der Studienstiftung des deutschen Volkes vorgeschlagen - ich natürlich nicht. Ich war ja keine Deutsche, warum sollte man mich mit sehr guten Leistungen überhaupt fördern. 

Als ich mich für mein Medizinstudium beworben habe, hatte ich noch keinen deutschen Pass. Ich habe mich erst mit 23 Jahren einbürgern lassen. Ich musste mich als „Bildungsinländerin“ (Ausländische Staatsangehörige, die hier ihr Abitur machen, Anm. d. Red.) über das „Ausländerkontingent“ bewerben. Das brachte mir einerseits Vorteile durch mein sehr gutes Abitur., Andererseits sendete das wieder ein Signal an mich, dass ich nicht dazu gehörte. Meinen Studienplatz bekam ich schließlich über diese Ausländerquote. Von deutschen Institutionen bin ich in dieser Hinsicht sehr enttäuscht, weil sie die zweite Generation in den 1970er bis 2000 nicht richtig gesehen haben. Wir wurden nicht gefördert.”


SWANS: „Auf welche gemeisterte Hürde bist du besonders stolz?”


Elif: „Ich bin stolz darauf, dass ich alle Widrigkeiten meiner Zeit als Kind und Jugendliche mit den psychisch sehr beeinträchtigten Eltern gemeistert habe und heute das bin, was ich bin. Diskriminierung und Ausgrenzung waren insbesondere in der deutschen Gesellschaft der 1970er durchaus populär und wurden nicht geahndet. Ich habe mich davon aber nie beeindrucken lassen, bin meinen Weg gegangen. Als ich früher meine Berufswünsche geäußert habe, wurde ich aufgrund meiner Herkunft, aber auch meines Geschlechts nicht ernst genommen. Heute bin ich die Chefin einer Reihe guter Fachärzt:innen und habe zwei Gesundheitszentren aufgebaut. Mit meinem Team zusammen versorge ich viele Patient:innen in der Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Auch habe ich Spaß daran Vorträge zu halten und Kolleg:innen und Studierende zu unterrichten.”


SWANS: „Du hast zwei Abschlüsse aus Harvard, bist heute Chefärztin und damit wohl der Traum der meisten Migra-Eltern - wie viel Leistungsdruck hast du in deinem Werdegang empfunden?”


Elif: „Ich habe selber früh gemerkt, dass Leistung Türen öffnet. Dass ich durch mein Talent, aber auch meinen Fleiß in der Lage bin, diese Türen zu öffnen. Den Druck, erfolgreich zu sein, habe ich mir selber auferlegt. In der Zeit, in der ich meine beiden Zentren aufgebaut habe, habe ich mich oft nach mehr Zeit für mich gesehnt. Ich habe aber versucht, meine Ziele nie aus den Augen zu verlieren. Das war nicht immer leicht und resultierte oft in einem 24/7 Arbeitspensum.

Aber auch nach Erreichen dieser Ziele  erfordert die tägliche Arbeit, die Erhaltung und Bewirtschaftung jeden Tag ein gehöriges Maß an Disziplin, um den Ansprüchen der Patient:innen zu entsprechen. Auch ärgere ich mich maßlos über einige Entscheidungsträger im deutschen Gesundheitssystem, die die viele Arbeit der niedergelassenen Ärzt:innen wie unsere mit der Versorgung einer großen Anzahl von Migrant:innen für sehr wenig Vergütung nicht wertschätzen, nicht fördern, nicht unterstützen. Ich bilde Medizinische Fachangestellte aus und Assistenzärzt:innen und wir behandeln tausende von Patient:innen. 

Einerseits denke ich oft, dass ich selber zu kurz komme, andererseits ist der Beruf genau das, was ich machen wollte und die Dankbarkeit der Patient:innen gibt mir viel.

Das Klischee fordert, dass Frauen als Chefinnen im Berufsleben nicht allzu direkt und dominant sein sollten. Lieber fügsam und leicht zu führen. Diese Meinung wird nicht unbedingt öffentlich geäußert, ist aber an vielen Stellen gerade im Gesundheitssystem immer wieder wahrzunehmen. Ich bin bei vielen Besprechungen die einzige Frau in der Runde. Es ist wichtig, sich nicht verunsichern zu lassen.”


SWANS: „Wie stehst du zu Quoten?”


Elif: „Naiverweise habe ich lange geglaubt, Qualität würde sich so oder so durchsetzen, unabhängig vom Geschlecht. Eine gleiche Qualifikation wird vielerorts aber eben nicht als gleich bewertet. Als Frau erfährt man stellenweise nicht einmal von wichtigen Berufs- und Karrieremöglichkeiten. Auf den letzten beiden Fortbildungen, an denen ich teilgenommen habe, gab es immer genau eine Frau in einem ansonsten reinen Männerreferententeam. Ich fürchte, sie sind notwendig.”


SWANS: „Viele unserer Schwäne müssen schon in ihrer Kindheit und Jugend viel Verantwortung übernehmen, etwa bei Elternsprechtagen, Behördengängen und Dokumenten. Wie war das bei dir?”


Elif: „Das kenne ich auch. Alleine durch die depressive Erkrankung meiner Mutter mussten wir uns viel um sie, aber auch um andere türkeistämmige Bekannte und Freunde meiner Familie kümmern. Meine Schwester und ich haben Behördengänge und Arztbesuche und viele andere Dinge für die migrantische Community erledigt. Post öffnen (und übersetzen), Behördengänge etc. waren Pflicht. Meine Elternabende wurden, wenn überhaupt, dann von meiner Schwester mit dem Vater wahrgenommen. Mein Vater hat sich sehr für seine Landsleute engagiert. Durch seine guten Deutschkenntnisse war er in der Lage, Formulare für sie auszufüllen und sogar Heimatreisen zu organisieren. Das hat mich früh beeindruckt. Ich lernte, wie dankbar sozial sehr schwache Menschen für Hilfe sind - und dann auch noch in einem noch fremden Land. Das war eine meiner Inspirationen, später meine Facharztausbildung in der Psychiatrie und Psychotherapie zu machen.”


SWANS: „Als Psychiaterin und Psychotherapeutin beschäftigst du dich vor allem mit der psychischen Gesundheit für Migrant:innen - wie schaffst du es, bei einem so persönlichen und nahen Thema Grenzen zu setzen, Nein zu sagen und auf deine eigene Gesundheit zu achten?”


Elif: „In dieser Hinsicht herrscht viel Luft nach oben. Ich komme regelmäßig in Situationen, in denen ich gerade das Zentrum verlassen will und doch noch jemand mit einer dringenden Bitte vor der Tür steht. Aus den eingeforderten fünf Minuten wird dann schnell eine halbe Stunde mehr Arbeit, aber eben auch weniger Freizeit. Es fällt mir schwer, „Nein“ zu sagen, gerade wegen der Dankbarkeit meiner Patient:innen. Glücklicherweise fällt es mir sehr leicht, Inhalte meiner Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Innere Distanz ist sehr wichtig und ermöglicht es erst, zu helfen. Ansonsten: Immer positiv denken. Die Arbeit rentiert sich, wenn ich das Gefühl habe, dass es mir gelingt, Menschen aus ihren Sackgassen abzuholen.”


SWANS: „Welchen Ratschlag möchtest du unseren „Schwänen" mitgeben?”


Elif: „Bleibt bei euren Träumen. Lasst euch nicht kleinkriegen! Vertraut euren Kompetenzen, lernt euch kennen, versucht herauszufinden, was euer wirklicher Mehrwert ist und was euch Spaß macht. Nur dort seid ihr gut! Versucht, euch zu verbinden, seid gut zueinander und fördert euch gegenseitig. Versucht Leute zu finden, die euch helfen, besser zu werden und euch als Menschen wertzuschätzen.”


SWANS: „Vielen Dank für das Gespräch!”


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