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Zeynep Çetin: „Ihr müsst nicht alles alleine machen“

Aktualisiert: 3. Juli 2023






Die Berliner Rechtsanwältin Zeynep Çetin war maßgeblich daran beteiligt, dass muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch in Berlin Recht bekommen haben, an Schulen mit Kopftuch zu unterrichten.. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Sozial- und Antidiskriminierungsrecht. Lange hat sie neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ein staatlich gefördertes Antidiskriminierungsprojekt geleitet. Das Interview führte Martha Dudzinski.



SWANS: „Wir würdest du deine Kindheit beschreiben?“


Zeynep: „Ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Mein Vater war so genannter „Gastarbeiter“ im Kohlebergbau, unser Leben war sehr familiär, sehr religiös. Ich habe von klein auf Religion als etwas erlebt, das viel Kraft und Halt gibt. Sie hat meinen Eltern Halt gegeben, um sich in der Fremde einzufinden und prekäre Arbeitsverhältnisse zu ertragen. Mein Vater war ehrenamtlich engagiert beim Aufbau der ersten Gebetsräume, von Moscheen konnte damals noch keine Rede sein - auch, um Zugehörigkeit zu schaffen. Geschützte Räume, um über Sorgen und Probleme sprechen zu können und sich der Heimat näher fühlen zu können, die man zurückgelassen hat. Ihr wichtigstes Anliegen war, dass es ihren Kindern mal besser gehen soll als ihnen selbst.“


SWANS: „Wurdest du eher wertgeschätzt oder hast du dich unterschätzt gefühlt?“


Zeynep: „Von meiner Familie habe ich sehr viel Wertschätzung erfahren: Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann zieht sie das auch durch. Aber klar hat mir die Gesellschaft Steine in den Weg gelegt. Der Ehrgeiz war nicht einfach nur da, der hat sich entwickelt. Meine Grundschullehrerin hatte mir die Gymnasialempfehlung gegeben, mich aber gewarnt, dass es auf dem Gymnasium schwierig ist - sie meinte schulisch anspruchsvoll. Aber tatsächlich war es schwierig für mich, weil ich anders wahrgenommen wurde. Wenn ich Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung hatte, dann wurde das direkt damit begründet, dass Deutsch nicht meine Erstsprache sei. Das war natürlich Quatsch, ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe eher gebrochen Türkisch gesprochen als Deutsch. Aber in der Schule wurde mir gesagt, dass es daher kommen muss, dass zuhause zu wenig Deutsch gesprochen werde.


Das wollte ich nicht annehmen - und deswegen habe ich diesen Ehrgeiz entwickelt - der Ehrgeiz, diesen Makel, anders zu sein, auszugleichen. Als ich dann einige Jahre später gefragt wurde, ob ich einem deutschen Kind ohne Migrationshintergrund Nachhilfe in Deutsch geben könnte, hat das meine Eltern sehr stolz gemacht, und mich rückblickend auch. Ich weiß sogar noch wie das Kind hieß: Markus. Ich hatte viele Freund:innen und Verwandte, die eben keine Gymnasialempfehlung erhalten haben - auch später im Jurastudium. Nachdem sie sich durchgebissen haben, sind einige an ihre alten Schulen zurückgegangen, um dort zu zeigen: Ihr habt mir das nicht zugetraut, aber ich habe es trotzdem geschafft.“


SWANS: „Auf welche Hürden, die du gemeistert hast, bist du besonders stolz?“


Zeynep: „Wenn man sich anschaut, welche Hürden dir gesellschaftlich in den Weg gelegt werden, bin ich sehr stolz darauf, dass ich als einziges Kind mit türkischem Migrationshintergrund in meinem Jahrgang das Abitur geschafft habe. Ich weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit war. Ich bin die erste in meiner Familie, die studiert hat und hatte auch kaum Berührungspunkte mit Akademiker:innen. Sich dann alleine durch den Studiendschungel zu kämpfen. Ich habe es während des Studiums sehr genossen, wenn ich anonyme Klausuren schreiben konnte, so dass meine Arbeiten statt Zeynep nur eine Prüfnummer stehen hatten - das hat mir viel Mut und Kraft gegeben.


Ich habe auch erst im Studium angefangen, ein Kopftuch zu tragen. Meine Familie hatte mir nahegelegt, es mir gut zu überlegen, ob ich bereit bin für die unbequemen Fragen, die mich erwarten. Im Studium hatte ich dann das Selbstbewusstsein und habe mich bereit gefühlt. Dann wurde ich direkt in eine weitere Schublade gesteckt. Es war nicht schön, auf das Kopftuch reduziert zu werden. Auch hier war es gut, dass ich mich bei schriftlichen Prüfungen verstecken konnte. Wie oft wurde ich aufgerufen in der Vorlesung mit den Worten „Du mit dem Kopftuch!““


SWANS: „Wie stehst du zu Quoten als Maßnahme, um Diversität zu fördern?“


Zeynep: „Das hängt davon ab, wie Diversität verstanden wird. Wenn wir uns nur bei jedem Fototermin freuen, eine Person mit Behinderung oder Migrationshintergrund auf das Bild packen zu können, dann ist das ganz schön fatal. Ich finde es sehr schade, dass wir eine Frauenquote gebraucht haben, um die Schranken aufzuweichen, die strukturell Frauen diskriminieren. Offensichtlich brauchen wir Quoten als Übergangsmaßnahmen, weil Strukturen selbst nicht in der Lage sind, da Gerechtigkeit zu schaffen.“


SWANS: „Welche Diskriminierung erleben deine Mandant:innen?“


Zeynep: „Die meisten haben Probleme bei der Jobsuche. Sie merken schon im Gespräch, dass die Fragen sich immer wieder um das Kopftuch drehen. Aber im Nachhinein ist es schwer nachzuweisen, dass es daran lag. Das als Indizien vorzutragen, die eine Diskriminierung nahelegen, ist eine sehr ermüdende und leidvolle Erfahrung. Dazu die Erfahrung, vor Gericht nicht recht zu bekommen, weil das schlecht nachgewiesen werden kann und die Gerichte das nicht entsprechend bewerten.


Manchmal kippt die Stimmung im Betrieb bei bestehenden Beschäftigungsverhältnissen, wenn sich Mandantinnen später dazu entscheiden, Kopftuch zu tragen. Es hat sich nichts geändert an der Qualifikation oder an der Qualität der Arbeit. Trotzdem sollen sie plötzlich im Backoffice arbeiten oder durch das Gebäude durch die Hintertür betreten. Sie wehren sich, wenn sie heraus geekelt oder gemobbt werden sollen, bis sie von sich aus gehen. Viele Sachen sind auch strafrechtlich relevant, zum Beispiel Beleidigungen.“


SWANS: „Hast du dich selbstständig gemacht, weil du anderswo nicht beruflich Fuß fassen konntest?“


Zeynep: „Ein Stück weit ja. Ich dachte nach meinem bestandenen Staatsexamen, mir würden alle Türen offen stehen. Tatsächlich habe ich schnell gemerkt, dass das Kopftuch ein großes Hindernis ist bei der Arbeitssuche. Gerade in Berlin kann das doch nicht sein! Deswegen habe ich mich zunächst ehrenamtlich engagiert in der Antidiskriminierungsberatung und im Empowerment. Auch wenn Recht haben und Recht bekommen zwei sehr unterschiedliche Dinge sind, so bringt es doch viel Kraft, die Rechte zu kennen, Wissen zu teilen und andere ermutigen zu können. Dennoch bleibt die Wahrheit: Das Antidiskriminierungsgesetz ist ein zahnloser Tiger. Es ist nicht zahnlos - es kann beißen, aber es tut nicht weh. Unternehmen zahlen lieber die Entschädigung, als jemanden doch einzustellen.


So kam ich in den Bereich Antidiskriminierungsrecht, wir haben viele Schnittstellen zum Arbeits-, Sozial- und Familienrecht. Tatsächlich werden vor allem die Arbeitgeber geschult und beraten, wie sie geschickter diskriminieren können, damit es ihnen nicht rechtlich auf die Füße fällt. Aber gerade hier in Berlin haben wir einige sehr gute Anwält:innen, die das Thema auf der Seite der Betroffenen besetzen. Aber natürlich betrifft es mich selbst auch weiterhin: Manchmal muss ich meine Robe sichtbar in der Hand tragen, wenn ich das Gerichtsgebäude betrete, damit man mich nicht für die Mandantin hält, sondern sieht, dass ich die Anwältin bin.“


SWANS: „Haben sich die Debatten zum Thema Kopftuch deiner Meinung nach entwickelt oder verändert?“


Zeynep: „Da handelt es sich ja nie um echte Diskurse. Das wird ja komplett an den betroffenen Frauen vorbei geführt. Ihnen wird viel zugeschrieben, zugeschoben, interpretiert, angemaßt. Tatsächlich sehe ich eine sehr problematische Entwicklung durch gesetzliche Kopftuchverbote auf staatlicher Ebene wie hier in Berlin durch das so genannte Neutralitätsgesetz für Schule, Justiz und Polizei. Die haben eine fatale Signalwirkung auf den privaten Arbeitsmarkt: Plötzlich sehen sich auch privatwirtschaftliche Arbeitgeber im Recht, Frauen mit Kopftuch zu diskriminieren. Diese Entwicklung macht mir schon Angst.


Auf der anderen Seite reden wir erst dadurch überhaupt darüber, dass Frauen mit Kopftuch auch im akademischen Bereich berufstätig, Lehrkräfte sein können - gerade, wenn wir das Lehrer:innenzimmer als Spiegelbild der Gesellschaft sehen wollen. Erst nach der Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht hat die Berliner Verwaltung nachgegeben. Wenn man sich den Lehrkräftemangel in Berlin anschaut, hätte diese Entscheidung viel früher kommen müssen. Wie kann sich Berlin leisten, gut qualifizierte Bewerberinnen pauschal zu benachteiligen? Durch diese Ausschlüsse nehmen wir Frauen nicht nur ihre finanzielle Unabhängigkeit. Vor allem Mädchen lernen, dass sie nicht alles werden können, was sie wollen.“


SWANS: „Was magst du unseren Schwänen als Ratschlag mitgeben?“


Zeynep: „Macht euch klar, dass nicht ihr das Problem seid, sondern es in struktureller Hinsicht besteht und ihr mit der Unterstützung vieler anderer das Recht auch erstreiten könnt. Ihr müsst nicht alles alleine machen, in der Gemeinschaft seid ihr viel stärker! Mir tat es gut zu wissen, dass ich nicht alleine bin - gerade der Zusammenschluss verschiedener Organisationen kann viel bewirken. Denn es geht am Ende um das Selbstbestimmungsrecht von uns Frauen.“


SWANS: „Vielen lieben Dank für das Gespräch!“



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